Der Atem der Bienen

Nicht nur Honig, auch Bienenluft ist gesund. Hanspeter Gwiggner bietet in seinem „Impheisl“ in Westendorf sogar eigene Kuren an.

Es herrscht geschäftiges Treiben. Das tausendfache Summen der Bienen verschmilzt zu einem tiefen Brummen, es hängt schwer in der Luft an diesem heiteren Frühlingstag. Hans Gwiggner – Hanspeters Vater – trägt weder Gesichtsnetz noch Handschuhe, als er an den Einfluglöchern hantiert. Die Bienen umschwirren ihn, sind vielleicht etwas irritiert, aber keine von ihnen zückt ihren Stachel. Drin im Bienenhaus verzichtet auch Hanspeter selbst auf jeglichen Schutz, als er den Bienenstock öffnet und die Rahmen einzeln herausholt. In Trauben hängen die „Impen“ daran. „Då schau, des is des Herz des Bienenstocks, da herrscht immer a Temperatur um die 35 bis 37 Grad, ganz egal, ob Winter oder Sommer,“ erklärt er und deutet ins Innere. Er erläutert, dass hier die Bienen Nektar, Pollen, Harze und viele andere natürliche Stoffe einbringen und verarbeiten würden. Dabei entstehen Dämpfe, die dem Menschen wohltun. Hanspeter nützt sie für seine Kurgäste....

Imker aus Leidenschaft

Bienentherapie© Christina Feiersinger

Den „Impenvogel“, also das glühende Interesse für das summende Volk, hat Hanspeter wahrscheinlich vom Opa väterlicherseits geerbt, jener war mit nicht weniger als 320 Völkern einer der größten Imker im Land. Seine zweite Leidenschaft liegt vielleicht in der Tatsache begründet, dass Hanspeter die ersten beiden Jahre seines Lebens bei den Großeltern mütterlicherseits am Kochaberhof in der oberen Windau verbrachte. Noch heute verspürt er eine enge Verbindung zu diesem Haus. Es sollte eigentlich abgerissen werden, aber das kam für ihn nicht in Frage. 1480 wurde der Hof erbaut, „bis 1562 ku ma sogår die Besitzer alle nennen.“ Hanspeter ist ein „Bewahrer“. Ob Bauernhof, Stadl oder Kapelle: Alles wird mit viel Liebe saniert und hergerichtet.
Er erlernte das Tischlerhandwerk, „was G’scheit’s hoit“, wechselte aber zur Bahn und ist seit vielen Jahren Lokführer – mittlerweile sein Traumjob. Natürlich gibt es aber auch daheim in der Pension Lärchenbrunn immer genug zu tun. Die Eltern haben die Pension einst errichtet, heute kümmert sich vor allem Hanspeters Frau Birgit um das Wohl der Gäste, unterstützt von ihrem Mann und den beiden Kindern Katharina und Thomas. Vor einigen Jahren hat die Familie saniert und umgebaut, mit viel Altholz und gemütlichen Ecken, alles ganz „tirolerisch“. Birgit stammt ursprünglich aus Kärnten und kam damals auf Saison nach Westendorf, wo sie Hanspeter „in die Fänge ging“. Zu dieser Zeit hatte der 47-Jährige noch keine Bienen, zumindest keine mit Flügeln, aber er träumte davon, einst ein Imker zu werden. Vor drei Jahren war es dann endlich soweit: Hanspeter schaffte sich eine komplett neue Ausrüstung an, stellte zwei Bienenhäuser und die Stöcke beim Kochaberhof auf und holte sich die ersten Völker. „Carnica“ heißt die Sorte oder Rasse, sie ist bekannt für ihren angezüchteten Sanftmut. Darum trägt der Imker keinen Schutzanzug. „Früher san de Bienen, de alten Rassen, vü zritta g’wesen“, weiß Hanspeter.
Auf die Sache mit der Bienenluftkur kam er durch Imker-Kollegen Heinrich Hüttner, dessen Bienenwelt in Söll 2014 ein Raub der Flammen wurde. Jener hatte die wohltuende Wirkung der Bienenluft als Teil der Apitherapie, der medizinischen Nutzung von Bienenprodukten, daheim in Oberösterreich zufällig entdeckt und dafür 2005 den Agrarinnovationspreis gewonnen.

Süße Bienenluft

Drin im „Impenhaus“ schwirren vereinzelt Bienen herum. Hier sitzen seit Mitte Mai die ersten Kurgäste, um die Bienenluft zu inhalieren. Die Luft kommt über Schläuche direkt aus dem Innersten des Bienenstocks. Am Ende des Schlauches befindet sich eine Maske. Ich lege mir eine über Mund und Nase. „Langsam und ruhig atmen, durch die Nase ein und durch den Mund aus“, instruiert mich Hanspeter. Es ist zwar alles ein wenig ungewohnt, aber die Luft, die da aus dem Schlauch kommt und meine Lungen füllt, ist angenehm. Sie ist warm und voller Aromen. Die süße Honignote überwiegt, aber ich nehme auch Kräuter wahr, fein und würzig. Ich schließe die Augen und überlasse mich ganz den wohligen Empfindungen, die mich mit den Düften überkommen. Schon liege ich in Gedanken auf einer Sommerwiese, die Wärme der Sonne im Gesicht, das Summen von Bienen an meinem Ohr. Aber nein, die Bienen und das Summen sind ja echt. Ein Doppelrückschlagventil stellt sicher, dass ich nur Luft und keine Bienen einatme und dass die „Impen“ nichts von meiner Atemluft abbekommen. Für mich ist die Behandlung nach wenigen Minuten des Probierens vorbei, als Kur dauert sie eine Stunde lang und sollte zweimal täglich erfolgen – am besten 14 Tage lang. Alleine schon das Sitzen und Still-Werden, eingehüllt in den Duft und das beruhigende Brummen der Impen, wirkt heilend auf Körper und Geist, finde ich. Und der Blick durch das Fenster hinaus ins obere Windautal, der allein ist schon Balsam für die Seele. Nur wenige Kilometer abseits des Brixentals tut sich hier eine völlig andere Welt auf, eine wunderbare ...
Bei der Bienenluftkur geht es aber nicht um subjektives Wohlbefinden, sondern darum, den Kurgästen zu helfen. Die meisten von ihnen kommen mit asthmatischen Beschwerden und Allergien wie zum Beispiel Heuschnupfen zu Hanspeter. Doch auch Sportler finden sich im Impenhäusl ein, um mit der Bienentherapie eine Leistungssteigerung zu erreichen. Bei vielen hat die Kur schon gewirkt. Ich habe ein wenig recherchiert und auch in Deutschland einen Imker gefunden, der die Kur anbietet. Dort arbeitet ein Team aus Schulmedizinern daran, die wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit der Apitherapie zu liefern. Seit Jahrtausenden nützt der Mensch Bienenprodukte wie Honig, Propolis oder Gelee Royal, nun scheint sich eine ganz neue Tür aufzutun.

Hilfe bei Pollenallergie
Hanspeter rät seinen Gästen, vor der Behandlung beim Arzt die Lungenwerte erheben zu lassen und sie mit dem Ergebnis nach der Therapie zu vergleichen. So kann der Erfolg objektiv gemessen werden. Er bedeutet für viele, dass sie Medikamente reduzieren oder sogar weglassen können oder dass geschwollene Schleimhäute und tränende Augen, verursacht durch eine Pollenallergie, für immer der Vergangenheit angehören. „Es spricht hoit nit jeder gleich guat u, des is då wia bei jeder anderen Therapie a“, schränkt Hanspeter ein.
Für ihn selber sind die Bienen, und das Imkern allein schon Therapie. „Wennst zu de Bienen gehst, mågst grad ruhig sein“, sagt er. So friedfertig die „moderne“ Biene sein mag, hektische Bewegungen mag sie nicht. Mit seinem Honig, den Hanspeter natürlich auch gewinnt, hat er schon eine Goldmedaille geerntet.
Übrigens sei Honig, weiß Hanspeter, das einzige Lebensmittel der Welt ohne Ablaufdatum. „Da Tut Ench Amun is 1324 vor Christus g’storb’n. De Honigwaben in seim Gråb kunnst heit nu essen.“

Bauernhof
© Christina Feiersinger
Bienebstock
© Christina Feiersinger
Bienentherapie
© Christina Feiersinger
Bienentherapie
© Christina Feiersinger
Bienentherapie
© Christina Feiersinger

Zwölf Bienenstöcke sind eine Kuh

Als Hanspeter die Bienenstöcke angeschafft hatte, sagte er zur „Großmam“: „Jetzt samma wieder Bauern!“ Denn Bienen sind die kleinsten Nutztiere und wurden als solche schon von Kaiserin Maria-Theresia anerkannt. Sie sorgte sogar dafür, dass in Österreich die erste Imkerschule der Welt eröffnet wurde.
Zwölf Bienenstöcke gelten einem Bauern so viel wie eine Kuh. Nur, dass die Bienen nicht jeden Tag gemolken werden müssen. Aber der Aufwand, bis der Honig süß, zäh und golden in die Gläser rinnt, ist nicht zu unterschätzen. Ist der Honig entnommen, muss eingefüttert werden. „Es is a Geben und Nehmen“, sagt Hanspeter, „wia bei de Kiah.“
Schädlingsbekämpfung ist ein Thema, die gefürchtete Varroer Milbe kennen wir ja alle aus den Medien. Hanspeter greift dabei auf ein natürliches Mittel zurück und erzielt gute Erfolge, er hat kaum Ausfälle. Früher legten die Bauern Farn und Nusslaub zwischen die Wabenschränke. Auch das diente der wirksamen Ungezieferbekämpfung, wie man heute (wieder) weiß.
Pro Stock gewinnt Hanspeter bis zu 30 kg Honig oder „Hunk“, wie die Brixentaler sagen. 270 kg hat er letztes Jahr geerntet und selbst vermarktet. Immer in Erinnerung wird ihm aber der Moment sein, in dem er seinen allerersten Honig selber schleuderte und kostete. „Des is scho a gånz besonderes G’fühl, selber wås her’g’stellt zu håm, zu ernten, wofür ma g’arbeit håt.“ Noch nie in seinem ganzen Leben hat Honig so gut geschmeckt …
Seinen „Impenvogel“ teilt er mit anderen: Auch viele Junge sind fasziniert von der Imkerei und halten sich sogar in der Stadt ihre Bienenstöcke. Nicht, weil sie so das Geld für den Honig sparen würden, Geschäft ist die Imkerei nämlich keines, wie Hanspeter bestätigt. Die Anschaffung der Stöcke, Völker und Gerätschaften, das Einfüttern und so weiter, … da kommt schon einiges an Ausgaben zusammen. „Ma muass nit ois fürs Göd toa“, meint der Imker. Ihm geht es darum, ein Naturprodukt herzustellen, mit der Liebe und Wertschätzung, die ihm zustehen.
Die Welt der Bienen ist eine, über die schon viele Bücher geschrieben wurden und die Menschen rund um den Globus fasziniert. Wie so ein Bienenvolk organisiert ist, „då kina ma uns wås abschauen“, meint der Westendorfer. Jede einzelne der bis zu 70.000 Bienen im Volk hat ihre Aufgabe. Niemand im Stock beschwert sich über die herrschende Hierarchie. Kundschafterinnen unternehmen weite Flüge, um Nahrungsquellen zu finden, Navi brauchen sie dazu keines. Informationen übermitteln sie über eigene Tänze – ihre Entschlüsselung brachte übrigens dem Österreicher Karl von Frisch den Nobelpreis ein. Die Königin wird nur einmal im Leben begattet – Sex spielt im Leben der Bienen also nicht unbedingt die Hauptrolle. Die „Chefin im Stock“ lebt etwa vier bis fünf Jahre lang und legt bis zu 3.000 Eier täglich. Die Drohnen, also die männlichen Bienen, müssen nicht schwer arbeiten oder gar Eier legen. Sie können nicht einmal selber fressen, sondern werden gefüttert. Sie versehen Wachdienst am Einflugsloch und haben ansonsten vor allem den Job, junge Königinnen zu begatten. Unmittelbar nach dem Akt sterben die Drohnen, oder ihre weiblichen Kollegen lassen sie einfach verhungern. Welchen Teil Hanspeter wohl meinte, als er sagte, wir könnten uns was abschauen von den Bienen? Wahrscheinlich nicht den letzten.
Viel weiteres Interessantes gibt es noch heuer auf dem neuen Bienenweg in Westendorf zu erfahren. Sechs Kilometer lang wird er sein und zehn Stationen aufweisen, an denen Groß und Klein ihr Wissen über das Bienenvolk, Honig und mehr erweitern können.

Eine Arbeiterbiene kommt angeflogen, ich erkenne sie an den gelben Päckchen an den Beinen. Sie lässt sich in der Nähe des Fluglochs nieder, schnaufend und pumpend. Erst nach einer kleinen Weile hat sie sich soweit von der Futtersuche und dem anstrengenden Flug erholt, dass sie in den Stock krabbeln und dort ihre schwere Last abstreifen kann. Ihre Kolleginnen werden daraus Honig machen, den Hanspeter erntet. Aber dafür bekommen sie gutes Bienenfutter. Kein schlechter Deal, finde ich. Geben und Nehmen. Das könnte wirklich beispielhaft für uns sein.

Doris Martinz

Doris Martinz

Ich liebe es, für meine Geschichten den Menschen ins Herz zu schauen! Mehr Details

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Florian Waltl

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Ich leide an COPD IV und interessiere mich für die Bienenkur. mit besten Grüßen Florian

Doris Martinz

Lieber Florian, bitte wende dich direkt an Hanspeter Gwiggner, auf http://www.pension-laerchenbrunn.at findest du die Kontaktdaten. Alles Gute und liebe Grüße!

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